Der Spalter aus Melbourne

Benjamin David Simmons spaltet. Er spaltet die Fangemeinde der Sixers. Er spaltet die grundsätzlich basketballinteressierte Bevölkerung. Und er spaltet die Fachwelt. Nur warum?

Der 2.11m große Spielmacher der Philadelphia 76ers befindet sich in seiner vierten Saison und beschäftigt seit seinem Debüt im Jahr 2017 Kritiker wie Befürworter gleichermaßen. Mit fortschreitender Karriere scheint die Aufmerksamkeit dabei zuzunehmen – erst recht nach seiner Vertragsverlängerung, die ihm bis 2025 ganze 169.650.000,00 US-Dollar einbringt. Eine Summe, die den Fokus auf seine Leistungen, seine Entwicklung natürlich verstärkt. Und diese wird äußerst kontrovers wahrgenommen.

So finden sich auf der einen Seite diejenigen, die in ihm einen zu wenig scorenden, unreifen und weichen Guard im Körper eines Forwards sehen, dessen Wurfmechanik gestört ist und der keinerlei Arbeit in sein Spiel steckt. Auf der anderen Seite wird Simmons als einzigartiger Spielmacher wahrgenommen, der seine Mannschaft mit seiner Übersicht, Passfähigkeit, dem Ballhandling und einer elitären Verteidigung besser macht.

Komplizierte Wahrheiten geben Anlass zur Kritik.

Wie so oft scheint die Wahrheit in der Mitte zu liegen. Bei Ben Simmons ist das kompliziert. Ein Versuch der Einordnung:

Fakt ist, dass der Australier offensiv wenig Fortschritte gemacht zu haben scheint. So hat er sich noch immer keinen verlässlichen Wurf angeeignet – weder von der Freiwurflinie, aus der Mitteldistanz, noch von Downtown. Seine Punkte macht er überwiegend direkt am Ring oder niedrigprozentig von eben jener Freiwurflinie. Das führt mitunter zu skurrilen Defensivdarbietungen der Gegner, wenn Simmons am Perimeter das Spielgerät in den Händen hält: Der Weg zum Korb wird teilweise mit gehörigem Abstand zu Simmons versperrt. Denn mit einem Wurf ist ohnehin nicht zu rechnen – ganze 30mal in vier Spielzeiten drückte er von Downtown ab (drei Treffer). Es bleiben also zwei andere Optionen: Passen oder mit dem Kopf durch die Wand. Letzteres wünschen sich die Kritiker viel öfter. Die Voraussetzung dafür hat er: Mit seiner Physis ist er vielen Gegenspielern überlegen und sein Ballhandling erlaubt es ihm, mit Tempo und Finesse den direkten Weg zum Korb zu suchen. Entweder, er trifft oder geht an die Linie. Nur leider geht ihm diese Aggressivität oft ab – viel zu selten bringt er so zählbares auf’s Scorerboard.
 
Legte er in seiner zweiten Saison noch etwas zu (16.9 Punkte im Vergleich zur Rookie-Saison, in der er 15.8 Punkte erzielte), ging sein Schnitt seitdem zurück – bis auf 12.9 Punkte pro Spiel in der noch jungen Saison 20/21. Auch seine Wurfquoten aus dem Feld gingen zurück – von 55% auf 52%. Zwischenzeitlich traf er 58% aus dem Feld. Lediglich bei den Freiwürfen ist eine Steigerung zu sehen – hier trifft er nun schmeichelhafte 65%, als Rookie waren es noch 56%. Der Bruder von fünf Geschwistern scheint zu arbeiten. Das zeigt sich auch an der leicht verbesserten Wurfmechanik – sieht man Videos von Shootarounds oder Aufwärmübungen, so ist hier im Vergleich zu seinen ersten Jahren ein Fortschritt zu erkennen. So ist zu erkennen, dass die Wurfhand besser hinter dem Ball und der Ellbogen nicht mehr so weit abgestellt ist. Doch noch hat er offensichtlich kein Vertrauen in den Wurf. Er selbst betont immer wieder – wenn es soweit ist, wird er werfen. Allerdings war er auch lange der Auffassung, dass es in seinem Spiel keinen Wurf braucht, da er auch so punkten kann. Nur ignorierte er lange Zeit, dass es dabei weniger um ihn selbst als um den Teamerfolg ging. Ein Basketballer, der nicht wirft, ist von der gegnerischen Defensive einfach zu spielen. So die berechtigte Kritik.
Gut, dass ein Spieler auf unterschiedliche Weise offensiv Einfluss nehmen kann. Zum Beispiel durch Assists. Doch auch hier zeigt sich keine Entwicklung zum Positiven – eher Stagnation: Seit seinem Debüt verteilt der ehemalige LSU Tiger rund 8 Assists pro Spiel. Dabei verliert er konstant 3.5 mal pro Partie das Spielgerät.
Auch sämtliche Advanced-Stats zeigen keine Steigerung in seinen Zahlen auf. Im Gegenteil: Ob PER (20.0 > 17.5), eFG% (55% > 52%) oder das BPM (4.5 > 2.7) – sämtliche Kennzahlen sind rückläufig.

Reichlich Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Und sie haben nicht unrecht. Muss ein Spieler seines offensichtlichen Formates nicht mehr als nur 16 Punkte im Schnitt auflegen? Schließlich war der Linkshänder Number-One-Pick, Rookie oft the Year, ist zweifacher All-Star und verdient einen Arsch voll Geld. Vielleicht.

Statistiken und Zahlen - es gibt wichtigeres!

An dieser Stelle kommen wir zum Kern der Diskussion. Denn es geht weniger um Ben Simmons selbst und nicht um seine Zahlen. Vielmehr muss man ihn im Gesamtkonstrukt der Sixers verstehen. Sein Coach Doc Rivers fasste es treffend zusammen: „The stuff he does for us. The winning things he does, it’s hard to put into numbers and unfortunately, we’re in this numbers generation where everything’s numbers, and his brilliance sometimes is missed by a lot of people.“ (28. Januar 2021)  

Sein Wert liegt also zwischen den Zahlen. Und deshalb wird er oftmals nicht gesehen. Dabei müssten selbst die schärfsten Kritiker wissen, dass Basketball so viel mehr als nur Scoring ist. Natürlich ist es elementar, das Spielgerät durch den Ring zu bekommen – doch dafür braucht es aber auch Spieler, die gute Würfe ermöglichen, womit wir bei dem Mann mit der Nummer 25 sind. Denn seine 8 Assists pro Spiel schreiben eine eigene Geschichte. Stichwort: Courtvision. Ben Simmons schafft es regelmäßig, freie Schützen oder cuttende Mitspieler zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort in Szene zu setzen. In der regulären Saison 19/20 führten beispielsweise 52% seiner Assists zu einem Dreier. Er allein verteilte 33.5% aller Sixers-Assists, die drei Punkte nach sich zogen. Doch damit nicht genug. Hat er die Wahl, findet er meist den Akteur, der in dem jeweiligen Augenblick den höherprozentigen Wurf nehmen kann – nach seinen Assists stieg die Dreierquote der Sixers um 0.2%. Minimal aber immerhin. Fakt ist: Ben Simmons hat seit seinem Debut 782 Dreier vorbereitet (Stand: Februar 2020) – Spitzenwert. Nach einem Viertel der laufenden Saison 20/21 steht er erneut an der Ligaspitze mit 4 Assists pro Spiel, die einen erfolgreichen Dreier ermöglichen. Er kann aber nicht nur "Dreier". Auch in Korbnähe stieg die Quote der Passempfänger beim Abschluss um 5.1% nach einem Zuspiel des Australiers. Dazu abschließend noch ein Wert: Simmons‘ Assists führen im Schnitt zu 2.4 Punkten. 

Mit Blick auf den aktuellen Kader, der von Daryl Morey klug zusammengestellt wurde, lässt Simmons‘ Kernkompetenz die Sixers-Offensive gut aussehen. Die ersten Spiele der Saison gehen zumindest in die Richtung, wenngleich sich der Australier offensiv etwas zurück nimmt (nur 9.2 Wurfversuche pro Spiel – Karrieretiefstwert). Dies hat auch mit dem veränderten Spiel unter Doc Rivers sowie den Leistungssprüngen von Joel Embiid und Tobias Harris zu tun. Zudem sind mit Seth Curry und Danny Green zwei elitäre Schützen zur Stelle, wenn sie gebaucht werden, sodass Simmons das tun kann, was er am besten kann: Dem Team helfen – mit allem zähl- und nicht zählbarem.

Der neue Sixers-Coach brachte sein Spiel wie folgt auf den Punkt: “The numbers will say the offense, but the defense and all the other little things he did was unbelievable. He’s playing great.” (28. Januar 2021)

Offense wins Games, genau. Und Defense? Richtig – das wollen sie in der Stadt der brüderlichen Liebe: Einen Ring. Und Defense kann Ben Simmons. Verdammt gut sogar. In der Saison 19/20 führte er die Liga bei den Steals an (2.1), was bekannt ist. Gleichzeitig war er ligaweit der beste darin, Loose Balls zu retten. Und bei den Deflections war er zweiter. Auch in diesem Jahr agiert er am defensiven Ende wieder auf ähnlichem Niveau. 

Wohin geht die Reise?

Also: Schaut man nur auf die Zahlen, stehen dort gute aber nicht überragende 16 Punkte, dazu 8 Rebounds sowie 8 Assists. Zudem steht da ein Alter von 24 Jahren.

Eine Statline in diesen jungen Jahren? In der Geschichte der NBA gab es nur zwei Spieler, die ähnliche Zahlen auflegten – Oscar Robertson und Magic Johnson. Keine schlechte Gesellschaft.

Nun, da steht aber eben auch dieser hochdotierte Vertrag. Sowie ein Scouting-Report mit der Kern-Information, dass er nicht wirft und die geringste Range aller Guards hat. Und, dass es bisher nicht für die Finals reichte.

Die Geduld scheint bei zahlreichen Fans dem Frust gewichen zu sein. Denn viele forderten und fordern es weiterhin, Simmons zu traden – für Harden, Beal oder LaVine. Ob der Australier in anderen Teams ähnlich agiert, bleibt vorerst ein Geheimnis. Stand jetzt gehen die Sixers mit ihm Richtung Playoffs. Was eine gute Entscheidung ist – denn das Team aus Philadelphia weist Ende Januar die zweitbeste Bilanz der Liga auf. 

Und hey, der Mann ist eben erst 24. Was ist, wenn er doch noch den Wurf für sich entdeckt!? Keinen Dreier wie die Curry-Brüder, klar. Aber ein halbwegs verlässlicher Mitteldistanzwurf – warum nicht. Und wenn nicht, dann ist das auch in Ordnung. Denn Spieler, die scoren können, gibt es en masse in der NBA - und auch die Sixers haben genügend, die " 'nen Ball in'nen Körbchen schmeißen", um mal Dirk zu zitieren. Das Paket des Ben Simmons findet man dagegen eher selten. Es bleibt nur die Frage: Kann ich als Team, als Coach etwas damit anfangen und ist eine Entwicklung in einzelnen Bereichen erkennbar?

Es bleibt abzuwarten. Bis dahin wird er weiter spalten. 

marcel

 

Fakten: Ben Simmons auf basketball-reference.com

Zitat: Doc Rivers über den Wert von Ben Simmons

 

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