Mental-Health in der NBA: Die zunehmende Offenheit, darüber zu sprechen.

Fast jede:r fünfte Erwachsene lebt in den USA mit einer psychischen Erkrankung (Substance Abuse and Mental Health Service Administration, 2020). Zahlen, die aufhorchen lassen. Und die Pandemie setzte dem ganzen noch einen oben drauf. So stieg die Zahl der von einer Angststörung und/oder Depression betroffenen Menschen enorm – im Jahr 2019 waren es 11%, im Jahr 2021 erschreckende 41% der Amerikaner:innen.
Erschwerend kommt in dem Land hinzu, dass der Zugang zu therapeutischen Behandlungsangeboten nicht allen Betroffenen möglich ist. Das liegt vor allem an den fehlenden Ressourcen. Beispielsweise fehlen 6.200 qualifizierte Fachkräfte für die Behandlung von mental kranken Menschen. Dies ist auch darin begründet, dass das Thema lange nicht ernst genommen wurde. Mittlerweile wird auch innerhalb der Bevölkerung offener damit umgegangen, was wiederum zu einem Problembewusstsein und entsprechendes Handeln in Washington führte („Mentale Gesundheit in den USA: Die Bürde der Psyche“).

Positiv ist in dem Zusammenhang auch der offene Umgang zahlreicher Prominenter wie beispielsweise NBA-Profis zu nennen – denn einerseits sind sie oft Rollenvorbilder für viele Menschen und anderseits zeigt sich, dass Geld und Bekanntheit nicht vor mentalen Erkrankungen schützt.
In der Vergangenheit haben nicht wenige Spieler ihre psychischen Probleme öffentlich gemacht – auch, um die Diskussion über mentale Gesundheit in der Öffentlichkeit zu fördern und anderen zu helfen, die möglicherweise ähnliche Probleme haben. Hier sind einige Beispiele von aktiven wie auch ehemaligen Akteuren:
 

Kevin Love: Im Jahr 2018 schrieb der heutige Heat-Forward einen aufsehenerregenden Artikel für The Players' Tribune („Everyone is going through something“), in dem er über seine Erfahrungen mit Angstzuständen und Depression sprach. Er und der gleich folgende Star sind wohl die prominentesten Vertreter unter denen, die offen über ihre psychischen Erkrankungen sprachen.

DeMar DeRozan: Ebenfalls 2018 machte der ehemalige Raptors-Star seine Erfahrungen mit Depression öffentlich und hat in einem Interview mit dem Toronto Star („Raptors’ DeRozan hopes honest talk on depression helps others“) darüber gesprochen, dass er mit diesem Schritt auch anderen helfen wolle. 

John Wall: Ziemlich aktuell – nämlich aus dem Jahr 2022 – stammt der sehr offene Artikel in The Players‘ Tribune („I’m still here“), in dem der aktuell vertragslose Guard über die schwerste Zeit seines Lebens schreibt. Er berichtet von Selbstmordgedanken und dem Eingeständnis, Hilfe zu benötigen. 

Ben Gordon: Der ehemalige Guard sprach nach seiner elfjährigen NBA-Karriere offen über seine psychischen Probleme und machte in dem Zuge auch seine Diagnose der bipolaren Störung bekannt. Während der aktiven Karriere habe er mit Depressionen und auch Selbstmordgedanken zu kämpfen gehabt. Diese machten ihm auch nach dem Karriereende zu schaffen.
In einem Interview mit The Players' Tribune im Jahr 2020 („Where is my mind?“) offenbarte er sehr düstere Phasen. Unabhängig davon wurden immer wieder Konflikte mit dem Gesetz öffentlich.
 

Paul George: In einem Interview mit ESPN im Jahr 2019 („Paul George comes home“) sprach PG13 darüber, wie er nach einer Verletzung in der Saison 2014-15 mit Angstzuständen und Depression zu kämpfen hatte. Ähnliche Erfahrungen musste er offenbar während der Bubble-Playoffs 2020 machen. So sprach er 2021 gegenüber ESPN ebenfalls von Ängsten und depressiven Schüben („LA Clippers' Paul George says 'big difference' in his mental health now vs. in bubble“) in dieser Zeit. Die Kritik George gegenüber war damals enorm, seine 34.6% aus dem Feld und nur 27% von Downtown für viele ein Beleg dafür, dass er dem Druck bzw. der Verantwortung nicht gewachsen sei. Eine Postseason später? Da trug er seine Kawhi-losen Clippers in die Conference-Finals. 

Keyon Dooling: In der The Players' Tribune machte der ehemalige Celtics-Guard 2018 („Running from a Ghost“) seine Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch und daraus resultierenden psychischen Problemen öffentlich. Lange 25 Jahre habe er darüber geschwiegen und erhofft sich nun durch seinen offenen Umgang damit, dass andere auch den Mut finden. Seitdem setzt er sich dafür ein, dass Betroffene Hilfe und Unterstützung finden. 

Roy Hibbert: Der ehemalige Center der Indiana Pacers (u.a.) hatte während seiner Karriere regelmäßig mit Angstzuständen und Panikattacken zu kämpfen, tat sich jedoch schwer, Hilfe in Anspruch zu nehmen. In einem ESPN-Artikel („Roy Hibbert vs. Roy Hibbert“) wird der innere Kampf und seine die Entwicklung nachgezeichnet.

Lamar Odom: Auch er nutzte die Möglichkeit, in der The Players' Tribune („Done in the Dark“) mit eigenen Worten seine Drogensucht und inneren Kämpfe öffentlich zu machen. Im Jahr 2017 sprach er über den Verlust seiner Mutter als 12-Jähriger und dem späteren Kokain-Missbrauch. 

Delonte West: Ebenso wie Ben Gordon leidet der ehemalige NBA-Guard unter einer bipolaren Störung. Um die Welt gingen Bilder vom bettelnden West und den Information, dass ihn Mark Cuban von der Straße holte.
Bei „Good Morning America“ sprach er über seinen Weg und die Herausforderungen, mit einer solchen Erkrankung zu leben („Former NBA player Delonte West talks about his battle with bipolar disorder and starting fresh“).

Marcus Morris: Der NBA-Forward und Zwillingsbruder von Markieff Morris sprach im Jahr 2020 offen darüber („Marcus Morris opens up about dealing with depression“), wie er während der Saison 2017-18 eine schwere Depression durchgemacht hat und sich nicht traute, darüber zu sprechen. 

Jerry West: Dass ihn die Depression sein Leben lang belastete, ist mittlerweile bekannt. Auch er sprach lange nicht darüber – erst 2011 machte er die Erkrankung durch seine Memoiren „West by West: My Charmed, Tormented Life“ öffentlich („Jerry West reveals lifelong depression“).

Vin Baker: Nach seiner Karriere hat er in seiner Autobiographie "God and Starbucks: An NBA Superstar's Journey Through Addiction and Recovery" erzählt, wie ihn seine Alkoholabhängigkeit und finanzielle Probleme in eine tiefe Depression geführt haben. Vor kurzem hat er eine Einrichtung eröffnet, in der Menschen mit ähnlichen Problemen Hilfe bekommen können („Former Bucks great Vin Baker overcame addictions. Now he wants to bring hope to Milwaukee with a new recovery center.“).

Dies sind nur wenige Beispiele von aktiven wie auch ehemaligen Spielern, die mit psychischen Erkrankungen und damit einhergehenden Herausforderungen zu kämpfen haben bzw. hatten. Interessanterweise wählen viele Betroffene The Players' Tribune, um ihre Erkrankungen öffentlich zu machen. Wohl auch, weil sie dabei die Kontrolle über das wie und was haben – sie mit eigenen Worten von ihren Erfahrungen berichten können. 

Vor allem Depressionen und/oder Angstzustände sind bzw. waren unter den Erkrankungen häufiger vertreten. Öffentlich machten diese ebenfalls u.a. Allen Iverson, Metta World Peace, Chris Bosh, Larry Sanders, DeAndre Ayton, Royce White oder Eddie Johnson.
Im Idealfall fanden die Spieler den Mut, sich Hilfe zu suchen. Die NBA selbst hat sich auf die Fahne geschrieben, Betroffenen diese zu ermöglichen. Dass psychische Erkrankungen tieferliegende Ursachen haben, ist bekannt. Aber auch die Tatsache, dass diese in dem Hochdruck-Geschäft der NBA auch schneller hervorgeholt werden können.

ESPN-Senior-Writer Jackie MacMullan widmete sich dem Thema ausgiebig in einem lesenswerten Fünfteiler „Mental health in the NBA“. Wann? Natürlich 2018 – in dem Jahr, als Kevin Love und DeMar DeRozan ihre Erkrankungen öffentlich machten. Wie nach ihnen noch viele weitere Akteure. Mittlerweile scheint der Umgang damit wesentlich offener zu sein. So postete vor kurzem Andre Drummond folgendes: „Time to focus on my mental health . If you too are struggling with your mental health, you are not alone 💙 it’s okay to ask for help“ (Tweet). Und dennoch steht er seinem Team zur Verfügung und stellt sich den mittlerweile auch sensibler gewordenen Fragen der Medien.

Auch die Situation rund um Ja Morant scheint sich schnell wieder entspannt zu haben, nachdem er offen über seine Fehler und die Hilfe sprach, die er sich suchte. Wie nachhaltig das ist, wird man sehen. Davon scheint Ben Simmons noch ein Stück entfernt zu sein, denn wirklich offen sprach er bisher nicht davon, was ihn damals in Philadelphia und nun auch in Brooklyn belastet.

Am Ende zeigen solche öffentlichen Bekenntnisse immer wieder, dass hinter den Spielern eben auch Menschen stecken, die eine eigene Vergangenheit inklusive mitunter unfassbarer Erfahrungen haben. Dies sollte Fans und auch Medien bei ihrer teils unsachlichen Kritik bewusst sein. Ob schlechte Leistungen oder Abwesenheit vom Team – für alles gibt es Gründe. Bestenfalls sind es keine schwerwiegenden psychischen Erkrankungen. Und wenn doch, ist auch das heutzutage keine große Sache.
Wichtig ist, dass jeder die Hilfe bekommt, die er benötigt. Und hierbei haben die NBA-Profis im Vergleich zur übrigen US-Gesellschaft einen riesigen Vorteil. Umso schöner ist, dass sie mit dem Bekanntmachen ihrer Probleme zumindest eine Offenheit dafür schaffen und teils auch aktiv für Verbesserungen in dem Bereich eintreten.

 marcel

 

Kommentare

  1. Toller Artikel, um ein sehr wichtiges Thema. Danke

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