Die Offseason der Sixers? Eine subjektive, von Overreactions eingefärbte Kurz-Preview.

Ohne groß zurückschauen zu wollen, muss jedoch eingangs erwähnt werden: Die Philadelphia 76ers erlebten erneut eine enttäuschende Saison. Trotz großer Ambitionen und einer MVP-kalibrigen Spielzeit von Joel Embiid blieb am Ende nicht viel mehr übrig als ein optimistischer Blick nach vorn.
Grund für diesen ist aus meiner Sicht der von Daryl Morey fabelhaft ausgehandelte Trade für James Harden, der nicht nur die unglückliche Zusammenarbeit mit Ben Simmons beendete, sondern auch dafür sorgte, dass Tyrese Maxey in Philadelphia blieb – alles in allem mein persönliches Saison-Highlight.

Die Früchte dieser Entscheidungen ernten sie nun in der Stadt der brüderlichen Liebe und lassen mich optimistischer denn je in die Saison gehen. Und das nicht wegen der makellosen Preseason (4-0). Warum dann? Das soll anhand weniger Protagonisten dargestellt werden:

Joel Embiid

Der 28-jährige Center legte in der letzten Saison bockstarke sowie ligaführende 30.6 Punkte pro Spiel auf. Zusammen mit den 11.7 Rebounds und 2.6 Stocks in nur 33.8 Spielminuten waren das MVP-würdige Zahlen. Allerdings stand er „nur“ 68 Spiele auf dem Hartholz und konnte sein Team in der Postseason aufgrund einer Gesichtsfraktur und Handverletzung nicht wie erhofft in die Finals tragen. Am Ende hatte er wiederholt das Nachsehen in der MVP-Wahl und ging nach dem Playoff-Aus gegen die topplatzierten Miami Heat früher als erwartet in den Sommerurlaub.

In der nun anstehenden siebten Saison (aktiv) erwarte ich more of the same, wobei ich mit noch weniger Spielminuten leben kann. Wie sich das mit seinem Ehrgeiz, ggf. doch mal MVP werden zu wollen, in Einklang bringen lässt, muss Doc Rivers klären. Fakt ist: Embiid hat offensiv wie defensiv so viel Hilfe, wie selten zuvor. Zudem hat Rivers veritable Back-Ups zur Verfügung, sodass er seinem Star-Center mit gutem Gewissen genügend Auszeiten verordnen kann.

Tobias Harris

Ich weiß, dieser enorme Vertrag. Ein Vertrag, dem er nie gerecht wurde. Und offen gesagt auch nie gerecht werden konnte. Dennoch bin ich froh, dass er weiterhin ein Sixer ist. Denn Harris ist ein Spieler, der unheimlich wichtig für ein Team sein kann: „Let's call him mannschaftsdienlicher Premium-Rollenspieler, Musterprofi, bockstarke Veteranenpräsenz oder X-Faktor“, schrieb ich letztens (Tweet). Er selbst betonte mehrfach die Herausforderung, sein Spiel nach Hardens Ankunft umstellen zu müssen und die Playoffs zeigten, dass er auf einem guten Weg ist.

Er wird der Glue-Guy, der sich den eigenen Wurf erarbeiten kann, immer öfter aber im Catch&Shoot agiert und zudem die Flügelspieler des Gegners verteidigt. Und sein Vertrag? Der ist in der nächsten Saison (2023/24) ein auslaufender – also tendenziell gut tradebarer Vertrag. Lieber aber hätte ich ihn weiterhin im Kader zu geringeren Bezügen, doch das ist Zukunftsmusik.

Tyrese Maxey

Zu der gehört auch Maxey. Wobei er schon jetzt zeigt, welch Potenzial er hat. Der Drittjahresprofi ist Fanliebling und für mich ein kommender All-Star. Dass er während der Preseason absurd effizientes Scoring präsentierte, ist geschenkt – machte aber dennoch Lust auf mehr (Tweet). Der 21-Jährige wird neben Harden und Embiid viele Freiheiten bekommen und diese zu nutzen wissen: Seine Quoten, seine Wurfauswahl, sein Drive – in allen Belangen wird er besser und arbeitet auch defensiv mit viel Einsatz. Rückblickend war auch für ihn persönlich die Verpflichtung von James Harden ein Glücksfall, profitiert er doch ungemein von dessen Erfahrung und basketballerischem Knowhow.

James Harden

Womit wir beim Bärtigen sind. Bei ihm sind es drei Dinge, die erwähnt werden müssen. Erstens: Er ist endlich fit. Körperlich wie mental wirkt er bereit, wie lange nicht. Seit Mai soll er an sich arbeiten, hat einige Kilos verloren und auch die langwierige Harmstring-Verletzung, die schon so manchem Spieler eine Saison versaut hat, wohl endlich hinter sich gelassen. Zweitens: Er scheint unfassbar fokussiert zu sein und nur ein Ziel zu kennen: Den Titel. Dass er für dieses Ziel auf sehr viel Geld verzichtete, zeigt seine Priorität. So verlangte er nicht wie vielerorts befürchtet die maximale Verlängerung von $270 Millionen bis einschließlich 2027, sondern unterzeichnete einen Zweijahresvertrag mit Spieleroption für $68 Millionen und ermöglichte Morey so, handlungsfähig zu bleiben und das Team zu verstärken (yahoo-sports: "Exclusive: James Harden tells Sixers 'sign who we [need] to sign and give me whatever is left over' with new deal"). Drittens: Er schein sein Spiel noch einmal angepasst zu haben. So wird er wohl mehr als Spielmacher auftreten, der effizient punkten kann – so meine Hoffnung. Mit der einhergehend wünschte ich mir schon vergangene Saison mehr Catch&Shoot-Mentalität und den Weg in die Midrange – etwas, das er erfreulicherweise während der Preseason zeigte und nun Teil seines Spiels wird. Ebenso, wie der Einsatz am defensiven Ende (Tweet).

Matisse Thybulle

Als heimlicher Tisse-Fanboy war ich natürlich enttäuscht von seinen Playoff-Auftritten und konnte zwischendurch mit einem Trade des Edelverteidigers leben, solange dafür ein passenderer, sprich werfender Flügelspieler nach Philly gekommen wäre. Mittlerweile bin ich aber froh, dass Morey & Co. ihm noch die Chance geben. Denn offenbar hat kaum einer so intensiv an seiner Schwäche gearbeitet, wie der Viertjahresprofi – angefangen beim Wurf bis hin zum Dribbling. Das zumindest bestätigt das Frontoffice und lehnte deshalb Tradeanfragen vorerst ab (Philadelphia Inquirer: "Matisse Thybulle could be most improved Sixer after a summer of putting in the work").
So ist Thybulle hoffentlich ein wichtiger Faktor in der Rotation, der nun auch offensiv dezent beitragen kann – und wenn es abgesehen vom Transition-Game nur der Eckendreier ist. Dass er den vermehrt und vorallem treffsicherer nimmt, zeigte er bereits in der Preseason.

Dawgz so weit das Auge reicht

Fehlende Toughness und fehlende Erfahrung in harten Playoff-Schlachten – etwas, das den Sixers in der Vergangenheit öfter abging. Etwas, das Daryl Morey auch mit den von Harden übrig gelassenen Dollar konsequent anging: Nach dem Trade für den Grit’n’Grind-erfahrenen De’Anthony Melton verpflichtete er einen alternden aber noch guten PJ Tucker, Arbeiter Danuel House Jr. und Energizer Montrezl Harrell – allesamt Spieler, die für sich genommen nicht (mehr) elitär sind, im Teamverbund aber unheimlich wertvoll sein können. Ergänzt durch einen verbesserten Paul Reed, dem immer kerniger auftretenden Furkan Korkmaz und einem neu motivierten Shake Milton ist die Bank zusammen mit Edelschütze George Niang tief wie lange nicht. So tief, dass sich die Sixers leider von den talentierten Perspektivspielern Charles Bassey und Isaiah Joe trennen mussten.
Ein positiver Nebeneffekt der bitteren Entlassungen: Die Sixers bleiben handlungsfähig und können im Laufe der Saison noch via Trade aktiv werden.

Am Ende wird es darauf ankommen, dass Doc Rivers aus dieser Ansammlung von Premiumrollenspielern und Stars gute Lineups auf das Hartholz bringt und in entscheidenden Phasen die richtigen Anpassungen vornehmen kann. Genau dort habe ich die größten Bedenken, sodass ich trotz der m.E. besten Offseason seit langem letzte Restzweifel habe. Neben der Angst natürlich, dass sich Embiid oder Harden verletzen. Denn mit den beiden steht und fällt wohl die Saison der Sixers.
Bleiben sie gesund, bilden sie zusammen mit Maxey ein schwer zu verteidigendes Trio, wie die zugegebenermaßen kleine Samplesize aus der Vorsaison zeigt (Tweet). Aber eben auch eine mit'nem wenig fitten Harden und noch nicht ganz so reifen Maxey.
Fakt ist: Die Stimmung war lange nicht so gut in Philadelphia und das Team scheint gut zu harmonieren. Die Zielrichtung ist klar und gerade Embiid, Harden und auch Morey wünschen sich wohl nichts sehnlicher, als den Titel. Abgesehen natürlich von den Fans. 

Ziel

Harden sagte es letztens kurz und knapp: Der Titel. Nichts als der Titel ist das Ziel dieser Mannschaft. Bleiben die Protagonisten gesund und stellt sich Rivers doch noch als smarter, zumindest aber nicht beratungsresistenter Head-Coach (Hoffnung ruhen auf Sam Cassell und Dan Burke) heraus, muss mit diesem Team gerechnet werden.
Wird James Harden in den Playoffs wieder abtauchen? Wird sich Embiid mal wieder verletzen? Fällt Harris in alte Muster zurück? Ist Harrell in der Postseason überhaupt spielbar? Klar, es gibt einige Fragezeichen. Trotzdem bleibe ich dabei: Der Titel ist möglich. So möglich, wie lange nicht mehr.

Nun zählt’s und das Risiko für die mittel- bis langfristige Sixers-Zukunft ist dabei gering. Auch das hat Morey bei all den Verpflichtungen gut im Blick behalten. So stehen nach dem wohl jetzt zweijährigen Titelfenster Stand heute zur Saison 2024/25 lediglich Embiid, Tucker (Player-Option) und Jaden Springer (Team-Option) im Kader. Sicherlich bzw. hoffentlich auch Maxey, dann wohl mit einem Maximalvertrag.

In dem Sinne: Let’s go Sixers!

 marcel

 

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