Statistik trifft Leidenschaft: Von Laternen, Dawgs und dem Lesen zwischen den Zahlen

Analytics are a lamppost for a drunk person: You can lean on them, you can rely on them, but they won’t get you home.” (Pelicans Preseason Profile: Josh Hart; 07.10.21)

Etwas zynisch und sehr bildlich aber dennoch treffend: Eine Aussage von Josh Hart, die ich voller Überzeugung via Tweet geteilt habe. Der Pelicans-Guard meinte im gleichen Atemzug zum Nutzen von Statistiken: “Obviously it has its benefits, but there are a lot of things you can’t measure in numbers.

Dass der NCAA-Champion von 2016 kein großer Freund der s.g. Analytics ist, dürfte bekannt sein. Und als Rollenspieler, der mit viel Energie ins Spiel geht, bringt er es folgendermaßen auf den Punkt: „I do a lot of things that don’t show up on the box score.

Es ist eine kritische Sicht auf den Trend der letzten Jahre. Ein Trend eher eine Entwicklung, bei der es im Kern um Optimierung geht. So versuchen Analysten durch immer detailliertere Erfassung von Daten und anschließender Auswertung, das Spiel bzw. den Einfluss einzelner Spieler messbar, voraussehbar und für notwendige Anpassungen nutzbar zu machen. Dass dabei einige Profis durch das Raster eines nützlichen NBA-Spielers rutschen, liegt wohl auf der Hand.

Das betrifft vor allem Spieler, die das Spiel anders als mit klassischen sowie erfassbaren Leistungsmerkmalen beeinflussen – die nicht effizient punkten, dominant rebounden oder mit Blocks und Steals den eigenen Korb beschützen.
Eben Spieler wie Josh Hart. Spieler, die ein Team mitreißen können – die auch mal von der Bank kommen und voller Energie in jedes Duell gehen. Oder Spieler, die gesegnet mit dem Blick eines Taktik-Genies im Anzug stets den vorletzten Pass spielen und somit die Offensive am Laufen halten. Auch diejenigen vom hinteren Ende der Rotation, die den einen Highlight-Block setzen, Hustle-Plays liefern oder unerwartete Dreier treffen
und das mit einem Lächeln im Gesicht, weil sie sich ihrer Rolle bewusst sind und diese angenommen haben.

Oder auch Spieler, wie Ben Simmons ("Der Spalter aus Melbourne"). Jemand, der ebenfalls oft in der Kritik steht – dabei aber Dinge macht, die schwer messbar sind. Wie zum Beispiel das Verteidigen der gegnerischen Topscorer, ohne viele Steals oder Blocks auf den Statistikbogen zu zaubern. Auch sämtliche Advanced Stats und andere Metriken zeigen wohl, dass er nicht einmal der beste Verteidiger der Sixers ist – das ist Joel Embiid. Wenn ich aber als Mitspieler erlebe, wie er beispielsweise Trae Young oder Luka Dončić die Würfe erschwert, dabei miese Quoten provoziert und bis zum gefrusteten Abwinken derer weiter verteidigt, dann macht das etwas mit mir: Es gibt Sicherheit, beruhigt und treibt mich an.
Wie eben auch Spieler, die wie Embiid den Ring beschützen oder das Team offensiv tragen und vorn konstant punkten können. Beides
messbarer und übt ebenfalls einen positiven Einfluss auf die Mitspieler aus. 

Das tun auch Spieler, die eher neben dem Hartholz einen enormen Wert für das Team bzw. junge Spieler haben – aber eben nicht mehr für das Spiel selbst. Auch hier ist deren Einfluss nur zu erahnen, definitiv aber nicht statistisch zu erfassen. Konkret sind hier die Veteranen zu nennen, die ihre Erfahrungen teilen, Vorbilder sind und den Mitspielern auch in schwierigen Phasen den Rücken stärken. 

Dagegen können Spieler, die statistisch hervorragend agieren, auch wenig zum Erfolg beitragen. Stichwort: Empty Stats. Doch das nur am Rande. Zurück zu den positiven Einflüssen.

Dabei sollten auch nicht die Spieler vergessen werden, die mit ihrem eingeschränkten Skillset das fehlende Puzzlestück zum Erfolg sein können. Die Spezialisten unter den NBA-Spielern. Da kann der schlechte Verteidiger genau der richtige Spieler sein, da er die nötigen Punkte und Rebounds liefert – denn defensiv kann ihn das Team verstecken. Oder es fehlt ein sekundärer Playmaker – egal, ob er den Dreier nur unterdurchschnittlich trifft, da Scorer zu Hauf im Team sind. Oder der elitäre Schütze, der den einen, wichtigen Dreier trifft aber sonst nicht viel beiträgt.

Oftmals ist auch von den so wichtigen Dawgs die Rede. Spieler, die dorthin gehen, wo es wehtut und die ich als Profi lieber an meiner Seite wissen möchte. Sie können das Zünglein an der Meisterschafts-Waage sein – nicht konstant über eine Saison hinweg, klar. Aber in einem entscheidenden Spiel? Absolut. Ob Tony Allen ("500orLess"), Metta World Peace, Bruce Bowen, Anthony Mason ("500orLess"), Draymond Green, Dennis Rodman, Joakim Noah oder Udonis Haslem – allesamt nicht die Spieler, die ein Team mit ihren messbaren Leistungen durch eine gesamte Saison tragen. Dennoch überwiegend gute Basketballspieler, die eine Menge beitragen bzw. beigetragen haben. Aber eben noch wesentlich mehr als das, was statistisch erfassbar scheint. Dabei ist deren Wirken bekannt, weil es zu Titeln und individuellen Ehrungen führte. Viele andere, weniger bekannte Spieler haben bzw. hatten einen ähnlichen Einfluss auf ihr jeweiliges Team und das Spiel – jedoch nicht in dem Ausmaß, wie die genannten.

Auch die Emotionen spielen natürlich eine wichtige Rolle – das Auftreten eines Spielers. Spontan muss ich hier an Manu Ginóbili denken. Seine Karrierewerte lesen sich gut – sein Einfluss auf das Spiel der Spurs war jedoch ungleich höher! Denn er ging mit einer Freude, einem Spielwitz und einer Leichtigkeit voran, die ansteckend war und mitriss. Die Wirkung auf die Mitspieler durch ihn aber auch durch die Fans in der Halle, auf die sich seine Begeisterung übertrug, war nicht messbar. Und das ist auch gut so, denn es braucht eben auch etwas Unbegreifbares!

Sind die Analystics nun überflüssig? Definitiv nicht. Beides kann und sollte aber nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Twitternutzer @Gorgfan brachte es in seinem Kommentar zur Aussage von Josh Hart schön auf den Punkt: „Zu Ende gedacht, fällt die 'ich mach lieber nur den Eyetest'-Fraktion halt auch um ohne Analytics. Insofern gibt's da gar nichts zu meckern an der Aussage.“ (Tweet)

Dass sich NBA-Spieler und auch Coaches regelmäßig dazu äußern, zeigt aber auch, dass der Fokus vieler Experten recht eng geworden zu sein scheint. Dabei weiß jeder, dass Basketball wesentlich mehr ist, als Zähl- und Verwertbares: Es sind Emotionen, Leidenschaft, Respekt, Teamgeist und einfach die Liebe zum Spiel. Und genau darauf freue ich mich bei der nun bald beginnenden Saison.

In dem Sinne: Lasst uns nach Hause torkeln und zwischendurch an’ner Laterne lehnen. Dabei behalten wir die Statistiken und Metriken aber auch die Persönlichkeiten der Spieler und das Zwischenmenschliche im Blick.

marcel

 

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